3 LITERARISCHE SALONS IM MAI

10., 17. und 24. Mai 2022 | jeweils ab 17.00 Uhr | im Zentrum für verfolgte Künste


10.05.2022, 17.00 Uhr – Auf ein Wort: die (Aus)Sprache. Salon mit Olga Grjasnowa und Tomer Gardi

2016 provozierte Tomer Gardis Broken German beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt eine rege Diskussion über Fragen der Sprache, Kunstsprache und Muttersprache. Verlässt doch der Roman die Standards deutscher Grammatik und Orthographie. Aber verletzt er sie damit? Oder ist es der Stolz einer vermeintlichen Hochkultursprache, der hier angekratzt wird? Sind Gardis Wortschöpfungen und sprachlichen Verdichtungen nicht vielmehr Zeugnis einer ästhetischen Qualität? Wie sehr werden hier unsere Leser:innenerwartungen gebrochen und müssen wir uns damit so schwer tun, wie die Jury in Klagenfurt, die mit einem Mal die Sprachkompetenz des Autoren verhandelte: ‚Kann Tomer Gardi überhaupt ‚richtiges‘ Deutsch?‘ Das ging so weit, dass Tomer Gardi letztlich selbst lächelnd die Diskussion unterbrach: „Ich kann Deutsch, ja. Für die anderen auch: Ja.“

Die beiden spiegelbildlichen Erzählungen, die Tomer Gardi in seinem neuen Roman Eine runde Sache verbindet, sind in broken German und Hebräisch verfasst (übersetzt von Anne Birkenhof): „Jeder Stimme wird ja was anderes und unterschiedliches Ausdrücken können“ heißt es zu Beginn.

Formen der Mehrsprachigkeit, Konflikte und Hierarchien thematisiert auch Olga Grjasnowas Sachbuch. Die Macht der Mehrsprachigkeit – Über Herkunft und Vielfalt berichtet vom Leben in Deutschland als Nicht-Muttersprachler:in, liefert eine Geschichte des deutschen Monolingualismus und die Erkenntnis, dass ein multilinguales Ideal hier (noch) immer an ‚Prestige-Sprachen‘ ausgerichtet ist. Die Autorin selbst hat ihre mehrfach ausgezeichneten und vielfach übersetzten Romane auf Deutsch geschrieben, obwohl ihre Muttersprache das Russische ist. „Ich habe Deutsch als meine literarische Sprache gewählt, weil das immer die Sprache war, in der ich mich am besten ausdrücken konnte“. Die Macht der Mehrsprachigkeit ist in ihren Worten die „Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Systemen, Ländern, Kulturen, Geschichten, Literaturen oder Narrativen zurechtzufinden und nicht unbedingt die eine gegen die andere Sprache ausspielen zu müssen, sondern die Sprachen gleichwertig aufnehmen zu können und zu beurteilen.“

Gemeinsam mit beiden Autor:innen werden wir uns am 10.05.2022 der bereichernden Vielsprachigkeit in und jenseits der Literatur widmen. Sprechen Sie mit!

17.05.2022, 17.00 Uhr – Auf ein Wort: Wovon sprechen wir? Salon mit Dmitrij Kapitelman und Mati Shemoelof

Vielsprachigkeit und Identität sind die beiden großen Leitmotive dieses Wortfestivals. Für Mati Shemoelofs Werke sind sie prägend. In seinen Texten überlagern sich Hebräisch, Deutsch, Arabisch in Worten und Schriftzeichen. Seine Gedichte setzen sich mit den Misrachim, den arabischen Juden, und der aschkenasischen Kultur in Israel auseinander. Als er 2013 aus Israel nach Deutschland kam, veränderten sich sein Schreiben, dessen Perspektiven, seine Verwendung von Sprache nochmals. Während er sich in Israel selbst als ‚Misrachi-Poet‘ identifizierte, wurde er in Deutschland in seinen eigenen Worten zum ‚Judendichtar‘. „Hier zu sein verändert deine Perspektive. Die Shoa ist für mich jetzt keine Geschichte mehr, die instrumentalisiert wird, um mich zur Armee zur schicken oder Israels nationale Identität zu formen. Es ist eine Geschichte außerhalb der nationalen Identität – und dadurch viel stärker.“

Wie Zugehörigkeiten und Identitäten fließende sind, wie Migration ein Prozess bleibt, nachdem ein Umzug längst stattgefunden hat, zeigt auch der Roman Eine Formalie in Kiew von Dmitrij Kapitelman.

Dessen Protagonist Dmitrij Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Nach 25 Jahren als Landsmann, dem Großteil seines Lebens. Aber der Bürokratie ist keine Formalie zu klein, wenn es um Eingewanderte geht. Die Beamtin verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts mehr verbindet, außer Kindheitserinnerungen. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten.

Die Erkundung der eigenen Identität findet auch hier in einer Sprache statt, die Worte kreiert, Eindrücke und Perspektiven vermischt, mal anekdotisch, mal ernst pointiert autobiografische Erfahrungen vermittelt.

Wie sehr persönliche Erfahrungen Einzug in das Schreiben der Autor:innen finden und wie sie Schreibanlässe stiften, darüber sprechen wir am 17.05.2022 im literarischen Salon.

24.05.2022, 17.00 Uhr – Auf ein Wort: Wer spricht? Salon mit Lena Gorelik und Adrian Kasnitz

Gemeinsam mit Gundula Schiffer gab Adrian Kasnitz 2019 die Anthologie Was es bedeuten soll. Neue hebräische Dichtung in Deutschland heraus. Zahlreiche eigene Gedichtbände, Herausgeberschaften und Übersetzungen anderer Autor:innen machen ihn zu einem Mittler zwischen Sprachen und Welten.

Lena Goreliks autobiographischer Roman Wer wir sind schildert ihr Ankommen in Deutschland, wie sie eine Scham für ihre Herkunft entwickelt und sich ihre Identität im ständigen Dazwischen konstruiert: Eine Stimme zwischen Generationen, Sprachen, Narrativen und Identitäten. So erzählt Wer wir sind nicht nur von Lena Gorelik, sondern vom Leben in einer mehrheitsdeutschen Lebenswelt, das viele der im Festival, aber auch in der deutschen Gegenwartsliteratur vertretenen Autor:innen und ihre Leser:innen beschäftigt.

Die Frage danach, wer spricht, ist im Festjahr Jüdisches Leben in Deutschland ebenso präsent wie in der deutschsprachigen Literatur und der Gesellschaft in der Bundesrepublik. Auch die Debatten um (jüdische) Identität(en) sind vielschichtig und heterogen. Wem wir darin eine Stimme geben, wem wir zuhören, das ist eine Frage, die uns auch über den letzten Abend des Literaturfestivals hinaus beschäftigen wird. Mit Lena Gorelik und Adrian Kasnitz sprechen wir über journalistisches und literarisches Schreiben in der Gegenwart.